Während die Percussion-Band Diappo dem Publikum des Brettl-Festivals mit exotischen Trommelklängen einheizt, setzen die Wells auf scharfzüngigen Witz und einen rasanten Mix aus Gangsta-Rap und Stubenmusik
Von Julia BergmannSatte Trommelschläge zerschneiden die Stille im Zelt, die Hände der Musiker peitschen im Stakkato über die Felle, der Rhythmus schwillt an. Die acht Musiker auf der Bühne wippen im Takt, trommeln sich in Ekstase. Diappo, die Percussion-Band aus dem Landkreis, bestehend aus Flüchtlingen und bereits anerkannten Asylbewerbern aus dem Senegal und Mazedonien leiten den Abschluss-Abend des diesjährigen Brettl-Festivals im Hörbacher Zirkuszelt ein.
Im Publikum große Augen und lächelnde Gesichter, vereinzelt verdatterte Mienen: Manch einer scheint kaum glauben zu können, was sich da vor seinen Augen abspielt. Die Musiker, zum Großteil gekleidet in traditionellen afrikanischen Gewändern, trommeln sich die Seele aus dem Leib, lassen die Hände wirbeln, springen von ihren Stühlen auf, um sich, je weiter der Abend voranschreitet, immer mehr im Klang ihrer Instrumente zu verlieren. Für einen kurzen Moment liegt Hörbach irgendwo in den unendlichen Weiten Afrikas. Ein Jauchzer schrillt durch das Zelt, die dunkelhäutigen Schönheiten lassen ihre Arme durch die Lüfte sausen, die Locken springen, die langen Zöpfe tanzen. Als die Show mit einem ohrenbetäubenden Schlag zu Ende geht, setzt ebenso laut der Applaus ein.
Es ist kein Leichtes, eine Darbietung wie diese zu toppen. Da muss schon etwas Grandioses folgen, etwas, das den Atem raubt, aufregend ist und voller Höhepunkte steckt. Genau das bekommt in Hörbach einen Namen: Die Well Brüder ausm Biermoos betreten die Bühne. Nach dem Aus für die Biermösl Blosn treten die Wells an diesem Abend erstmals im Landkreis in neuer Formation auf. Während Stofferl und Michael Well die Bühne bereits betreten haben, bleibt der dritte im Gespann noch im Verborgenen. Die Wells machen es spannend. Nach dem Ausscheiden von Hansi Well habe man familienintern ein Casting veranstaltet, erklärt Stofferl Well. Der Vorhang schiebt sich zur Seite und – ein rosarotes Ungetüm betritt die Bühne. Gehüllt in ein flauschiges Stück Stoff steht der Dritte auf der Bühne und wird wortreich und unter technisch wohl äußerst ausgeklügelt erzeugten Rauchschwaden, die aus der pinken Decke hervorwabern, enthüllt: Karl Well steht auf der Bühne, und das Trio setzt gleich zu Beginn zur umfassenden Abrechnung an. Die hiesige Politprominenz darf sich warm anziehen, Landrat Thomas Karmasin kriegt ob seiner umstrittenen Flüchtlingspolitik gleich zum Auftakt sein Fett weg und auch Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet, „so herausragend wie es herausragender nimmer geht, wenn er zwischen zwei Gartenzwergen steht“, wird rangenommen.
Der Sound des „Che-Guevara-Landlers“, der vor vielen Jahren nach einem eskalierten Käsekuchen-Essen im Hause Drexler entstanden ist, hängt noch in der Luft, da setzen die Wells schon zu einer Performance der Extraklasse mit Harfe, Gitarre und Tuba an. Stofferl Well besingt voller Inbrunst den verhassten Andreas Gabalier, „der keinen Schuhplattler kann“. Dafür stellt der Stofferl sein Können unter Beweis, plattlt um sein Leben, räumt dabei um ein Haar das Bühneninventar vom Podium und setzt gleich – unter tosendem Applaus – einen Jodler hinterher. Als nächstes ist Karl Well an der Reihe, der von den jüngsten Eskapaden seiner Frau berichtet: dem orientalischen Bauchtanzkurs an der örtlichen Volkshochschule. Schon bevor der Vers „I zoag eich, wia des geht“ erklingt, jauchzt das Publikum in heller Vorfreude, und Karl Well lässt sich nicht lumpen. Mit einem frivolen Lächeln auf den Lippen tritt er nach vorne, hebt die Arme und lässt seine runde Plauze zu den orientalischen Tönen von Stofferls Querflöte lasziv pulsieren. Und auch Michael Well hat ein Highlight in petto. Ganz dem Urahnen, dem schottischen Lord McWell verpflichtet, setzt er zum Highland-Tanz an – und das mit Bravour. Er steppt und wirft die Beine in die Höhe, als würde er die vergangenen Jahrzehnte Lügen strafen.
Was die Wells zum Abschluss des Brettl-Festivals auf der Bühne zeigen, ist der reinste Wahnsinn, das Publikum wird nicht müde zu lachen, da werden die skurrilsten Instrumente ausgepackt, von Dudelsack bis hin zum Xylophon-Hackbrett-Verschnitt. Selbst einer antiken Drehleier werden noch die irrwitzigsten Klänge entlockt. Die Wells schrecken auch vor Sprechgesang auf Latein nicht zurück, kicken ein lässiges „Gymnasium Bavarium macht superdumm, quod erat demonstrandum, yo!“ von der Bühne. Des Sprechgesangs nicht genug, zieht sich Stofferl Well kurzerhand ein Beanie über den Kopf, lässt den Gürtel aus den Hosenschlaufen schnellen, zieht die Krachlederne auf Halbmast und rappt über die Milchpreise, die in zunehmend in den Keller schnellen. „Wir sind Agro Agrar, fick den Bauernverband“, haut Stofferl noch raus und animiert das Publikum mitzusingen: „Forty Cent, Forty Cent oder der Müller Milch brennt.“ In gebieterischer Hiphop-Pose springt er auf der Bühne auf und ab, geht in die Hocke und gestikuliert wild umher. Die Besucher kreischen vor Lachen.
Zum Abschluss packen die Wells gigantische Alphörner aus, die auf den Schultern der Besucher in den ersten Reihen zum Liegen kommen. Und gemeinsam mit den Trommlern von Diappo lassen sie den Abend in einem exotischen Mix aus Bayern und Afrika ausklingen. Nach 90 fulminanten Minuten und drei Zugaben verabschieden sich die Well Brüder ausm Biermoos mit einem Versprechen. „Bis in fünf Jahren“, rufen sie noch von der Bühne – und dann ist der Zauber vorüber.