Der Tiroler Landtagswahlkampf wurde nicht nur hierzulande genau beobachtet und mitunter hitzig diskutiert. Auch im beschaulichen Hausen in Oberbayern machte man sich über die offensichtlich mehrheitsfähige Angst vor „italienischen Verhältnissen“ Gedanken und verarbeitete sie flugs zum hintersinnigen G’stanzl über südliche Nachbarn, die Tirol zukünftig wohl boykottieren dürften. Mit dieser musikalisch aufbereiteten Überlegung eröffneten die Brüder Christoph, Michael und Karl Well am Freitagabend ihren Auftritt beim Imster TschirgArt Jazzfestival. Überhaupt gaben sich die Wellbrüder aus’m Biermoos ortskundig. Sie stichelten gegen den Landeshauptmann. Erinnerten an dessen wenig ruhmreiches Treffen mit Vorzeigekicker David Alaba und sinnierten in leitmotivisch wiederkehrenden Abschweifungen über die Liebe mancher Tiroler Gemeinden, vorzugsweise solcher im Unterland, zum Kreisverkehr. Bei so viel Lokalkolorit waren die Lacher vorprogrammiert. Bereits nach wenigen Minuten hatten die virtuos aufspielenden bayrischen Multikinstrumentalisten das Publikum im Glenthof für sich eingenommen.
Nur einer lachte nicht. Aber das gehörte zum Programm. Während sich seine Bühnenpartner die Tiefen und Untiefen des Alltags aufs Korn nahmen, saß Gerhard Polt auf seinem Stuhl und beobachtete das Treiben mit mal gelangweilter, mal mürrischer Miene. Erst nachdem die Wellbrüder das Publikum richtig angeheizt hatten, erhob sich dieser grimmige Buddha, trat ans Mikrofon und setzte zu einem seiner inzwischen legendären verbalen Rundumschläge an. Scheinbar mühelos – und ohne sich groß zu verändern – schlüpfte der mittlerweile 71-Jährige dabei in die verschiedensten Rollen. Gab den bierseligen Philosophen genauso wie den zurückgetretenen Papst.
Alles, was Polt über den Weg und bisweilen über die Leber läuft, kann zum Inhalt einer satirischen Suada werden. Polt schaut den Menschen aufs Maul, stellt die zahllosen phrasendreschenden Lokalpolitiker, großmäuligen Autonarren und wichtigtuerischen Sparkassenleiter mit ihren eigenen Worten bloß. So entlarvt er die spießbürgerliche Sehnsucht nach Gemütlichkeit als rücksichtslose Genusssucht, entwirft das Bild einer Gesellschaft, die immer kurz davor ist, zur Karikatur ihrer selbst zu werden, und sorgt für Lacher, die regelmäßig Gefahr laufen, einem im Halse stecken zu bleiben.
Aber auch in den musikalischen Zwischenspielen der Wellbrüder kommt anarchische Gesellschaftskritik nicht zu kurz. So gibt Christoph Well „40 Cent“, einen Gangsta-Bauern mit Wollkappe und tiefhängenden Lederhosen, der für gerechte Milchpreise rappt, und im anrührenden „S’ Diandl liab’n“ prangern die drei Brüder auf eindrückliche Weise die Scheinmoral kirchlicher Würdenträger an.
von Joachim Leitner
www.tt.com Rappende Milchbauern im Kreisverkehr
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