Am 12. und 13. November waren Gerhard Polt und die Well-Brüder aus´m Biermoos zu Gast im Stuttgarter Theaterhaus. Das sagen die Stuttgarter Nachrichten:
Gerhard Polt lästert im Theaterhaus
Der Söder, der Diesel und die Feinde
Von Thomas Morawitzky 13. November 2018 – 13:47 Uhr
Mürrisch errechnet er seinen Geldwert als Rentner, schrill verwandelt er sich in einen indisch-katholischen Pfarrer; er gibt Ansagen im Idiom und Temperament anderer Länder von sich und zwitschert als Frau vom Radio, die einen bayrischen Alkoholsportler interviewt: Gerhard Polts Auftritt im Theaterhaus ist ein echtes kleines Hörspiel gewesen.
Stuttgart – Da steht er, längst ergraut, bebrillt, mit seinem Gesichtsausdruck von breitem Gleichmut; ein Hemdzipfel hängt ihm aus der Hose, er trägt Trachtenjacke, hält ein Glas Wein in der Hand, und schnuppert. Mit 76 Jahren ist Gerhard Polteine Ikone des strengbayrischen Kabaretts, eine Laune der Menschennatur, ein Spötter, der singt und unverständliche Sprachen spricht, einer, der das Zwerchfell angreift, ohne mit der Wimper zu zucken, einer, der den größten Saal im Theaterhaus restlos füllt, am Montagabend.
Polt wird begleitet von den Brüdern, Christoph, Michael und Karl Well; zwei von ihnen spielten schon bei Biermösl Blosn. Karl Well hat in der neuen Formation den Well-Bruder Hans ersetzt; sie alle sind hervorragende Interpreten neuer, skurriler Volksmusik auf Harfe, Drehleier, Gitarre, Tuba. Die Well-Brüder reihen zarteste Preziosen und brachialen Bierzeltklang aneinander, jodeln, blasen in Alphörner und machen sich sehr böse Reime auf die jüngere bayrische Geschichte, in der Josef Strauss’ letzter Maßkrug als Reliquie verehrt wird. Sie spielen eine Feuerwehrmusik, angeblich von Händel auf der Reise durchs bayrische Dorf komponiert; die einzelnen Sätze tragen Widmungen, zum Beispiel: „Begrüßung der 70 Feuerwehrehrenjungfrauen.“
Stubenmusik für den Weltfrieden
Würden die Mächtigen ab und an ein bisschen Stubenmusik treiben, dann ginge es friedlicher zu auf der Welt – da sind sich diese Bayern sicher. Es wird in die Hände geklatscht im Theaterhaus und im islamverschreckten Volkston auf den „Schweinskram für Europa“ geschimpft. Die Brüder steppen, schuhplattlern, führen einen von Hopfen und Malz inspirierten Brautanz auf – perfekte Partner für Polt sind sie mehr denn je. Und der hat auch noch viel zu sagen. Manchmal fasst er sich dabei sehr kurz, manchmal nicht.
Mürrisch errechnet Gerhard Polt seinen Geldwert als Rentner, schrill verwandelt er sich in einen indisch-katholischen Pfarrer; er gibt Ansagen im Idiom und Temperament anderer Länder von sich und zwitschert als Frau vom Radio, die einen bayrischen Alkoholsportler interviewt. Ein echtes kleines Hörspiel ist sein Auftritt, in vielen Stimmen, die aus einer Kehle kommen. Selbstverständlich verschont Polt auch SUV-Fahrer nicht, Hochbegabte und ihre Musiklehrer, Markus Söder und sein Kreuz, den Diesel und seine Gegner. Schließlich enthüllt er auch die wahre Bedeutung der Abkürzung AfD, endlich.
„Im Abgang nachtragend“ heißt das Programm, Polt und die Well-Brüder spielen es seit Monaten schon. Zuletzt im Stuttgarter Theaterhaus waren sie vor drei Jahren. Der Feinschmecker aus München erinnert sich noch gut daran, auch an den württembergischen Wein: anders als der französische, findet er, passe der eher zum Aspirin als zum Käse. „Avanti!“, sagt Polt und versenkt seine Hände in den Hosentaschen.
Am 28. Februar und 1. März waren Gerhard Polt und die Well-Brüder aus´m Biermoos zu Gast im schönen Stadttheater Fürth. Zu zwei tollen Abenden schreibt Steffen Radlmeier in den Nürnberger Nachrichten:
(Hier geht es zur Online-Version)
Umjubeltes Musik-Kabarett im Stadttheater Fürth – 02.03.2018 07:56 Uhr
Seit knapp 40 Jahren arbeitet der große Solist Gerhard Polt schon mit den hochmusikalischen Well-Brüdern zusammen, die in der bayerischen Biermoos-Gegend leben. Und die Zusammenarbeit funktioniert auch weiterhin bestens, obwohl Hans Well seit 2012 seine eigenen Wege geht. Michael und Christoph Well haben als Ersatzmann ihren Bruder Karl ins Boot geholt und machen einfach dort weiter, wo die Biermösl Blosn aufgehört hat. Gemeinsam garantieren sie „gehobene Unterhaltung mit humanitärem Beigeschmack“.
Längst spielt ihr bayerisches Welt-Musik-Theater in einer ganz eigenen Liga jenseits des tagesaktuellen politischen Kabaretts. Die Dramaturgie ist dabei denkbar einfach: Polts Solo-Sketche wechseln sich mit den musikalischen Einlagen der drei Well-Brüder ab. Manches wird improvisiert, und selbst bekannte Nummern wirken so frisch, als seien sie gerade erst dem Hirnkastl entsprungen.
Im Mittelpunkt des Programms steht der Mensch im Allgemeinen und der Bayer im Besonderen. Jeder kennt solche Zeitgenossen, wie Polt sie darstellt, oft sind sie nicht gerade sympathisch, sondern egoistisch, brutal, beschränkt, gemein, berechnend oder unberechenbar. Und öfter als einem lieb sein kann, erkennt man sich in diesen Typen selbst wieder. Polt macht sich nicht über seine Figuren lustig. Er stellt sie und ihre Denkweise bloß – darin liegt seine Kunst, die den Menschen mit all seinen Abgründen zeigt.
Darum geht es auch in der Revue „Ekzem Homo“, die Polt mit den Well-Brüdern für die Münchner Kammerspiele produziert hat. Teile daraus tauchen auch in dem aktuellen Tournee-Programm auf. „Der größte Feind des Menschen ist der Mensch“, sagt Polt und kommt zu der Erkenntnis: „Es ist erstaunlich, zu welcher Hochform der Mensch auflaufen kann, wenn es um die Missgunst gegenüber seinem Nachbarn geht.“
„Beim Wort , Mensch’ bekomme ich eine Gänsehaut“, heißt es einmal. Nein, der Kabarettist, Autor und Filmemacher hat nicht die allerbeste Meinung von der menschlichen Natur. Zum Verzweifeln besteht seiner Meinung aber kein Grund, höchstens zum Totlachen. Zum Beweis dienen die atemberaubenden Rollenspiele, die dieser großartige Menschendarsteller unheimlich komisch und unheimlich realistisch zugleich vorführt.
Mit stoischer Miene sitzt er im zerbeulten Trachtenjanker auf einem Stuhl und wartet auf seinen Einsatz. Kaum ist er an der Reihe und fängt an zu sprechen, beginnt eine gespenstische Verwandlung: Nur mit Hilfe der Sprache und seiner Stimme schafft es der 75-Jährige, die unterschiedlichsten Charaktere lebendig werden zu lassen.
Da ist der labernde Reihenhausbesitzer, der mit seinem Nachbarn im Clinch liegt, der reaktionäre Rentner, der seinem Enkel auf die demokratischen Sprünge helfen will, der korrupte Landrat, der sich keiner Schuld bewusst ist oder der katholische Pfarrer aus Indien, den es in ein bayerisches Dorf verschlagen hat. Richtig wahnwitzig wird es, wenn Polt in einem Sketch verschiedene Rollen spielt, zum Beispiel die dümmlich säuselnde Radio-Moderatorin und ihren Interviewpartner, einen bekennenden Alkohol-Sportler. Zum Brüllen!
Die virtuosen Musiker setzen dazu die musikalischen Kontrapunkte. Von der Harfe über die Bach-Trompete bis zum Alphorn kommen zahllose Instrumente in den bissigen Schnadahüpferln und hinterfotzigen Gstanzln zum Einsatz. Die Gebrüder Well schaffen es auf verblüffende Weise, Schuplattler und Bauchtanz, Oper, Volksmusik, Pop und Kinderlieder unter einen Hut zu bringen, dass es eine wahre Freude ist.
Was ist der Mensch? Wieso? Weshalb? Warum? Die großen Fragen bleiben an diesem Abend zwar unbeantwortet, aber der aberwitzige Abschiedsgesang in einer afrikanischen Fantasie-Sprache macht deutlich, dass das eigentlich auch wurscht ist.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.2.2015 schreibt Teresa Grenzmann:
Kostenfaktor Mensch: Gerhard Polt und die Brüder Well widmen sich an den Münchner Kammerspielen dem „Ekzem Homo“.
„Wenn ein Mensch sich als Mensch erkannt hat, ist er gut beraten, sich nciht als das zu erkennen zu geben.“ Keine Zweifel: Er ist wieder da. Der Polt, der grantelnde. Der Gartenzaunkönig, Rentenrevierabstecker, Sonnen- und Feiertagsmuffel, der Misanthrop, der sich selbst der Nächste ist und die Menschen hassend dennoch liebt, um sich laut und deutlich von ihnen abzusetzen.
Mit hoch erhobener Brezn steht dieser Gehrard Polt in Alltagskluft vorm Vorhang der Münchner Kammerspiele, den Schalk im Nacken, das Premierenpublikum an den Lippen, die ganze, leuchtende Stadt sprichwörtlich im Rücken – ein Theaterheimkehrer und eine -instanz, auch in diesem Haus, schon seit der Revue „Kehraus“ (1979), seit „Tschurangrati“ (1993) und einer Handvoll anderer Stücke, die hier zur unvergessenen Uraufführung fanden. „Wer sind „mia“?“, ruft Polt und pfeffert das kulinarische Symbol bayerischer Gemütlichkeit in den nächsten Mülleimer. „Ja, ich nicht! „Mia“ sind die anderen.“
Diese „anderen“ sind vor allem Anwohner, Anrainer, Mitbürger, Asylsuchende, kurz: Mitmenschen. Oder auch: Nachbarn. Direkte, indirekte, europäische, religiöse. Aber auch: Nachbarskinder, Nachbarsgoldfische, Nachbarsgrillmeister und Nachbarslaubbooster. Wer lebt, stört, und wer im engsten oder weitesten Sinne nebenan lebt, stört empfindlich. „Ekzem Homo“ heißt dieser Uraufführungsabend deshalb, und Pilatus-Polt beleuchtet die Juckflechte Mensch in ihren beharrlich unangenehmsten Seiten.
Um das Exempel gleich hier und jetzt auf der Bühne zu statuieren, hat sich Polt seine Nachbarsmenschen natürlich mitgebracht. Sina Barbra Gentsch hat ihnen ein kleines Siedlungsprovisorium auf die offene Bühne gebaut; ein zartes Reihenhausgerüst, vor dem einige Pappeln aus Pappe und Sperholzheckenspaliere wachsen. Links wohnt Stefan Merki, ein gebürtiger Schweizer, der hier immer sich selst als Schauspieler der Kammerspiele, aber auch sich selbst in wechselnden Rollen spielen darf: etwa Brezner-Polts grillenden, mit einer Drohne ausspionierten Nachbarn oder den polnischen Priester, der zusammen mit einem indischen Geistlichen (Polt in köstlichem Pidgin-Englisch) auf Einladung des erzbischöflichen Ordinariats Freising nach Bayern gekommen ist, um den aussterbenden katholischen Glauben erst gründlich zu reformieren und dann wieder zu verbreiten.
Im mittleren Reihenhaus wohnt Brezner-Polt selbst – zusammen mit eienr zwischen Rechthaberei und Unrecht eingekauften afrikanischen Haushaltshilfe mit einer langen Flüchtlingshistorie (als weitestgehend stumme, auf pure atmosphärische Anwesenheit hin wertgeschätzte Rolle gespielt von Funke Konate). Rechts schließlich wohnen, umgeben von einem Dutzend Instrumenten, drei der vielen musikalischen Well-Brüder aus dem Biermoos, um in etwas veränderter Besetzung als früher – da nannten sie sich noch die Biermösl Blosn -, aber auf gewohnt gewitzte und liebevolle Art mit- und aufzuspielen. Zwischen Hackbrett und Harfe, Drehleier udn Geige, Tuba und Blockflöte rücken einige der Gstanzln von Karli, Michael und Christoph Well – ob Gymnasium-Rap, Feuerwehr-Suite oder Lohnsteuer-Boogie – all die Gartenzaun- und Maximilianstraßengranteleienins rechte lokal- wie außenpolitische Licht. Das heißt, sie verleihen dem eher harmlos unterhaltsamen Abend manchmal, etwa mit ihrem Globalisierungsansatz „Schweinsbraten für die Welt“ oder der bitteren Ironie in „Unsere tapfere Polizei“, auf subtile Weise mehr brisante Spitzen, als Polts laufendes Szenensushi allein zu transportieren vermag.
Der Spielmacher selbst indes poltert zwischen Dialekt, Distanzierung, Desillusion und Demaskierung seienr eigenen Grantler-Rolle, auf Tuchfühlung mit Rassismus, Intoleranz und Borniertheit durchs altbewährte Abenteuerland seiner Bühnencollagen, während die Welt ihm zu- und wegflattert wie ein aufgeregter Wellensittich, der es immer mal wieder mit dem weit gefassten Freiheitsgedanken versucht, obwohl er genau weiß, dass sein Schicksal der beengte Zimmerkäfig ist. Wortneuschöpfungen wie Kaulquappennummerierer, Lohnschauspieler oder Grillschwenderei – allesamt mit Ausrufezeichen gen Bayernhimmel genörgelt – säumen dabei Polts Weg. Der Mensch sei „Heimat für Parasiten, Viren, Bazillen, Versicherungen, Geschäftsleute, Beerdigungsinstitute, Waffenhändler, Religionen und Fußpilze“, vor allem aber ein Kostenfaktor, könnte es da treffender nicht heißen. Und gnadenlos komisch ist es, wenn Polt den Steuerwahnsinn auf die Spitze treibt, indem er ausrechnet, wie man zwölf Prozent Mehrwertsteuer eines Goldfisches einsparen kann, indem man ihn kurzentschlossen nach Müllerin-Art in die Pfanne legt.
Regie, so heißt es, habe Johan Simons, der scheidende Kammerspiele-Intendant selbst, geführt. Das Titelthema allerdings ist in allen Aus- und Abschweifungen vom Klein- und Vorgartenkrieg so weit gefasst und breit zusammengerafft, dass man unter den drei schwebenden Alphörnern im Zuschauerraum nur schwerlich mutmaßen kann, wie genau der Niederländerden fünf Alpenländern den Bergführer gegeben hat. Diese Art von Nachbarschaftshilfe ist, obschon mit keinem Wort erwähnt, mit Sicherheit eine der komischsten Anekdoten des Abends.
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner