Die Produktion der Münchner Kammerspiele „Ekzem Homo“ von und mit Gerhard Polt und den Well-Brüdern aus´m Biermoos ist jetzt auch als Buch erschienen, erhältlich beim Kein & Aber Verlag.
Karl Forster lobt das Buch in der Süddeutschen Zeitung:
„Das Resümee: Ja, es funktioniert. Das Poltsche Projekt von der Bühne zum Buch funktioniert sogar ganz wunderbar. Und das ist erstaunlich aus mehreren Gründen. Zum einen ist das Rezept, nach dem Gerhard Polt & die Well-Brüder ihr in den Münchener Kammerspielen im Februar 2015 uraufgeführtes Stück „Ekzem Homo“ gebastelt haben, schon etwas abgespielt. Nur halt mit einem dezent anderen Personal nach dem Auseinandergehen der Biermösl Blosn. Man denke nur an „Tschurangrati“ oder „Obatzt is“. Zum anderen ist es etwas anderes, Polts Texte und die Lieder der Well-Brüder im Theater live zu erleben als sie in gedruckter Version sich mehr oder weniger selber vorlesen zu müssen. Und zum ganz anderen ist es so, dass Texte, die Gerhard Polt aus Aufsatz, also zum Lesen schreibt, selten jenen bösen Gaudifaktor haben, wie seine gesprochenen, gestolperten, verdrehten, auch wenn vorher jeder Stolperer, jeder Verdreher auf dem Papier aufs Exakteste ausgearbeitet worden ist. …“
Hier in voller Länge!
Corso vom 10.02.2015
Gerhard Polt an den Münchner Kammerspielen
Der Mensch als Juckreiz
Von Andi Hörmann
Beitrag hören Gerhard Polt ist Satiriker, Schauspieler, Schriftsteller. Vor allem aber: ein großer Alltagsphilosoph und Ethnograf. Er leuchtet insbesondere das bayerische Lebensgefühl mit all seinen Schattenseiten und Absurditäten meisterhaft aus. Nun zeigen die Münchner Kammerspiele seine neue Revue „Ekzem Homo“.
„Man muss den Menschen weder verdammen, noch muss man ihn glorifizieren. Aber wenn man Situatives sieht, zu was Menschen in der Lage sind, dann muss man sagen: Es ist wirklich zum Teil so antagonistisch und so widersprüchlich, dass man selber aus dem Staunen nicht rauskommt.“
Der Mensch, ein erstaunliches Wesen! Gerhard Polt seziert ihn wie eh und je. In seiner kunstvoll, trockenen Satire nimmt er sie auseinander: Menschliche Abgründe, zwischenmenschliche Grabenkämpfe, unmenschliche Zeitgenossen – das Bayerische hat einen ganz wunderbar kantigen Begriff dafür: Gratler.
„Gratler! Gratler ist eine sehr abwertende Bezeichnung für einen Menschen. Gratler, das ist nicht der Mensch, der arm ist oder der Unterschicht angehört, sondern es ist ein mentales Versagen, ein schäbiges Verhalten.“
Drei gewaltige Alphörner hängen von der Decke der Münchner Kammerspiele. Über dem Publikum erklingt ein akustisches Klischee: Bayern und Berge, Idyll und Ideal. Christoph, Karli und Michael, die Well Brüder aus’m Biermoos, lassen ihn Musik werden, den widersprüchlichen Mitmenschen. Ungelenk hampelt Gerhard Polt auf die Bühne: Er spielt ihn nicht, er verkörpert ihn.
„Wenn mir ein Mensch, also ein Mensch daherkommt, sozusagen gegenübertritt, dann habe ich nichts dagegen. Aber! Das Aber kennen Sie …“
Unangenehmer Juckreiz im Aber
Im Aber steckt die Irritation, der unangenehme Juckreiz, den der Mensch dem Menschen ist: „Ekzem Homo‘. Der Titel dieser Musik-Theater-Satire, lässt an Nietzsche denken und nimmt Bezug auf eine Bibel-Szene: Jesus von Nazareth, vorgeführt von Pontius Pilatus.
„Ecce homo, das ist die berühmte Geschichte: Hier ist der Mensch, das ist der Mensch! Ecce, da! Und wir haben halt Ekzem Homo daraus gemacht, weil wir sagen: es gibt so viele Menschen, die dem Menschen etwas Widerwärtiges sind.“
„Und dann habe ich dieses Haus und neben mir ist ein Schauspieler, sogenannter Künstler, der grillt. Das ist doch der Wahnsinn! Ein Künstler. Die haben doch früher gehungert …“
Gerhard Polt treibt sie auf die Spitze, die kleinbürgerlichen Zwistigkeiten: der Nachbar als Feindbild, Fremdenfeindlichkeit und Flüchtlingsproblematik, Vereinsmeierei und Vermaledeien von aktueller Lokal- und Landespolitik.
Die Inszenierung „Ekzem Homo‘ wird dabei zu einer Art humanistischer Musik-Satire – Ignoranz und Scheuklappen-Denken als modernes Bauerntheater. Das Bühnenbild: ein Reihenhaus als transparentes Lattengestell mit auf Holztafeln gemaltem biederem Vorgarten. Die kritisch-satirische Volksmusik der Well Brüder aus’m Biermoos konterkariert das ewige Theater um den Mangel an echter Menschlichkeit mit zynischen Protestsongs – von der Zither getragene Stubenmusik, vom Akkordeon untermalte Gstanzl, von Tuba und Trompete geblasener Hip Hop.
Und irgendwann im Stück steht dann die Frage im Raum: Was ist der Mensch? Polts trockene Antwort: Musik, Geschrei.
„Der Mensch ist auch ein Klang, ein Klangkörper. Das Wort Person heißt ja nichts anderes als „etwas, durch das es hindurch klingt‘. Per-sonare. Das ist ein Mensch. Also ist er ein Behälter.“
Im Finale von „Ekzem Homo‘ löst sich dann die Frage nach dem Menschsein in einem musikalischen Kitsch auf. Polt in alter Heesters-Manier, in Frack und Zylinder – der Mensch als dilettantischer Entertainer, als selbstironischer Selbstdarsteller.
„Sehr gut. Doch. War ganz toll. Ich bin sehr begeistert.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Es sind manche Sachen dabei, wo man ein bisschen schluckt. Aber das gehört einfach dazu.“
Campino: Verdammt viel Punkrock
Unter den Gästen im Theaterfoyer tummelt sich dann auch noch ein prominenter Fan von Gerhard Polt und den Well Brüdern aus’m Biermoos – der Punkrocker Campino von den Toten Hosen.
„Also die Art Volksmusik, ist Volksmusik im guten Sinn, im ursprünglichen Sinn, und hat verdammt viel mit Punkrock zu tun.“
„Mir hat es sehr gefallen. Es bleibt eine leichte Melancholie. Man kann viel lachen und das ist die Kunst. Im Grunde wird der Mensch nicht fertig gemacht. Es ist noch ein Stück Resthoffnung da.“
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auf dem Nachhauseweg durch die Münchner Nacht stellt sich dann doch noch die Frage: Wie ist denn Gerhard Polt mit sich selbst zufrieden, als Darsteller, nein – als Mensch?
„Ich mit mir? Ich kann mich nicht jeden Tag fragen, ob ich mit mir zufrieden bin. Aber ich bin zufrieden, wenn ich einen Durst habe und bekomme dann ein gutes Bier. Dann bin ich mit mir zufrieden, und mit dem Bier. Das ist eine Zufriedenheit.“
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.2.2015 schreibt Teresa Grenzmann:
Kostenfaktor Mensch: Gerhard Polt und die Brüder Well widmen sich an den Münchner Kammerspielen dem „Ekzem Homo“.
„Wenn ein Mensch sich als Mensch erkannt hat, ist er gut beraten, sich nciht als das zu erkennen zu geben.“ Keine Zweifel: Er ist wieder da. Der Polt, der grantelnde. Der Gartenzaunkönig, Rentenrevierabstecker, Sonnen- und Feiertagsmuffel, der Misanthrop, der sich selbst der Nächste ist und die Menschen hassend dennoch liebt, um sich laut und deutlich von ihnen abzusetzen.
Mit hoch erhobener Brezn steht dieser Gehrard Polt in Alltagskluft vorm Vorhang der Münchner Kammerspiele, den Schalk im Nacken, das Premierenpublikum an den Lippen, die ganze, leuchtende Stadt sprichwörtlich im Rücken – ein Theaterheimkehrer und eine -instanz, auch in diesem Haus, schon seit der Revue „Kehraus“ (1979), seit „Tschurangrati“ (1993) und einer Handvoll anderer Stücke, die hier zur unvergessenen Uraufführung fanden. „Wer sind „mia“?“, ruft Polt und pfeffert das kulinarische Symbol bayerischer Gemütlichkeit in den nächsten Mülleimer. „Ja, ich nicht! „Mia“ sind die anderen.“
Diese „anderen“ sind vor allem Anwohner, Anrainer, Mitbürger, Asylsuchende, kurz: Mitmenschen. Oder auch: Nachbarn. Direkte, indirekte, europäische, religiöse. Aber auch: Nachbarskinder, Nachbarsgoldfische, Nachbarsgrillmeister und Nachbarslaubbooster. Wer lebt, stört, und wer im engsten oder weitesten Sinne nebenan lebt, stört empfindlich. „Ekzem Homo“ heißt dieser Uraufführungsabend deshalb, und Pilatus-Polt beleuchtet die Juckflechte Mensch in ihren beharrlich unangenehmsten Seiten.
Um das Exempel gleich hier und jetzt auf der Bühne zu statuieren, hat sich Polt seine Nachbarsmenschen natürlich mitgebracht. Sina Barbra Gentsch hat ihnen ein kleines Siedlungsprovisorium auf die offene Bühne gebaut; ein zartes Reihenhausgerüst, vor dem einige Pappeln aus Pappe und Sperholzheckenspaliere wachsen. Links wohnt Stefan Merki, ein gebürtiger Schweizer, der hier immer sich selst als Schauspieler der Kammerspiele, aber auch sich selbst in wechselnden Rollen spielen darf: etwa Brezner-Polts grillenden, mit einer Drohne ausspionierten Nachbarn oder den polnischen Priester, der zusammen mit einem indischen Geistlichen (Polt in köstlichem Pidgin-Englisch) auf Einladung des erzbischöflichen Ordinariats Freising nach Bayern gekommen ist, um den aussterbenden katholischen Glauben erst gründlich zu reformieren und dann wieder zu verbreiten.
Im mittleren Reihenhaus wohnt Brezner-Polt selbst – zusammen mit eienr zwischen Rechthaberei und Unrecht eingekauften afrikanischen Haushaltshilfe mit einer langen Flüchtlingshistorie (als weitestgehend stumme, auf pure atmosphärische Anwesenheit hin wertgeschätzte Rolle gespielt von Funke Konate). Rechts schließlich wohnen, umgeben von einem Dutzend Instrumenten, drei der vielen musikalischen Well-Brüder aus dem Biermoos, um in etwas veränderter Besetzung als früher – da nannten sie sich noch die Biermösl Blosn -, aber auf gewohnt gewitzte und liebevolle Art mit- und aufzuspielen. Zwischen Hackbrett und Harfe, Drehleier udn Geige, Tuba und Blockflöte rücken einige der Gstanzln von Karli, Michael und Christoph Well – ob Gymnasium-Rap, Feuerwehr-Suite oder Lohnsteuer-Boogie – all die Gartenzaun- und Maximilianstraßengranteleienins rechte lokal- wie außenpolitische Licht. Das heißt, sie verleihen dem eher harmlos unterhaltsamen Abend manchmal, etwa mit ihrem Globalisierungsansatz „Schweinsbraten für die Welt“ oder der bitteren Ironie in „Unsere tapfere Polizei“, auf subtile Weise mehr brisante Spitzen, als Polts laufendes Szenensushi allein zu transportieren vermag.
Der Spielmacher selbst indes poltert zwischen Dialekt, Distanzierung, Desillusion und Demaskierung seienr eigenen Grantler-Rolle, auf Tuchfühlung mit Rassismus, Intoleranz und Borniertheit durchs altbewährte Abenteuerland seiner Bühnencollagen, während die Welt ihm zu- und wegflattert wie ein aufgeregter Wellensittich, der es immer mal wieder mit dem weit gefassten Freiheitsgedanken versucht, obwohl er genau weiß, dass sein Schicksal der beengte Zimmerkäfig ist. Wortneuschöpfungen wie Kaulquappennummerierer, Lohnschauspieler oder Grillschwenderei – allesamt mit Ausrufezeichen gen Bayernhimmel genörgelt – säumen dabei Polts Weg. Der Mensch sei „Heimat für Parasiten, Viren, Bazillen, Versicherungen, Geschäftsleute, Beerdigungsinstitute, Waffenhändler, Religionen und Fußpilze“, vor allem aber ein Kostenfaktor, könnte es da treffender nicht heißen. Und gnadenlos komisch ist es, wenn Polt den Steuerwahnsinn auf die Spitze treibt, indem er ausrechnet, wie man zwölf Prozent Mehrwertsteuer eines Goldfisches einsparen kann, indem man ihn kurzentschlossen nach Müllerin-Art in die Pfanne legt.
Regie, so heißt es, habe Johan Simons, der scheidende Kammerspiele-Intendant selbst, geführt. Das Titelthema allerdings ist in allen Aus- und Abschweifungen vom Klein- und Vorgartenkrieg so weit gefasst und breit zusammengerafft, dass man unter den drei schwebenden Alphörnern im Zuschauerraum nur schwerlich mutmaßen kann, wie genau der Niederländerden fünf Alpenländern den Bergführer gegeben hat. Diese Art von Nachbarschaftshilfe ist, obschon mit keinem Wort erwähnt, mit Sicherheit eine der komischsten Anekdoten des Abends.
Erste Fotos von Ekzem Homo. (c) Hans Kopp. Vielen Dank für die Bilder!
Am Freitag, 6.2. besuchte uns überraschend Campino von den Toten Hosen und gab uns letzte Tipps.
Am Samstag, 7.2. fand die Uraufführung von „Ekzem Homo“ in den Münchner Kammerspielen statt. Für uns war es ein wunderbarer Abend. Christine Dössel von der Süddeutschen Zeitung war auch dabei, hier gehts zu ihrem Artikel. Wir freuen uns auf die weiteren Vorstellungen!
(Foto: imago/DRAMA-Berlin.de)
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