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Corso vom 10.02.2015

Gerhard Polt an den Münchner Kammerspielen

Der Mensch als Juckreiz

Von Andi Hörmann

Beitrag hören Gerhard Polt ist Satiriker, Schauspieler, Schriftsteller. Vor allem aber: ein großer Alltagsphilosoph und Ethnograf. Er leuchtet insbesondere das bayerische Lebensgefühl mit all seinen Schattenseiten und Absurditäten meisterhaft aus. Nun zeigen die Münchner Kammerspiele seine neue Revue „Ekzem Homo“.

„Man muss den Menschen weder verdammen, noch muss man ihn glorifizieren. Aber wenn man Situatives sieht, zu was Menschen in der Lage sind, dann muss man sagen: Es ist wirklich zum Teil so antagonistisch und so widersprüchlich, dass man selber aus dem Staunen nicht rauskommt.“

Der Mensch, ein erstaunliches Wesen! Gerhard Polt seziert ihn wie eh und je. In seiner kunstvoll, trockenen Satire nimmt er sie auseinander: Menschliche Abgründe, zwischenmenschliche Grabenkämpfe, unmenschliche Zeitgenossen – das Bayerische hat einen ganz wunderbar kantigen Begriff dafür: Gratler.

„Gratler! Gratler ist eine sehr abwertende Bezeichnung für einen Menschen. Gratler, das ist nicht der Mensch, der arm ist oder der Unterschicht angehört, sondern es ist ein mentales Versagen, ein schäbiges Verhalten.“

Drei gewaltige Alphörner hängen von der Decke der Münchner Kammerspiele. Über dem Publikum erklingt ein akustisches Klischee: Bayern und Berge, Idyll und Ideal. Christoph, Karli und Michael, die Well Brüder aus’m Biermoos, lassen ihn Musik werden, den widersprüchlichen Mitmenschen. Ungelenk hampelt Gerhard Polt auf die Bühne: Er spielt ihn nicht, er verkörpert ihn.

„Wenn mir ein Mensch, also ein Mensch daherkommt, sozusagen gegenübertritt, dann habe ich nichts dagegen. Aber! Das Aber kennen Sie …“

Unangenehmer Juckreiz im Aber

Im Aber steckt die Irritation, der unangenehme Juckreiz, den der Mensch dem Menschen ist: „Ekzem Homo‘. Der Titel dieser Musik-Theater-Satire, lässt an Nietzsche denken und nimmt Bezug auf eine Bibel-Szene: Jesus von Nazareth, vorgeführt von Pontius Pilatus.

„Ecce homo, das ist die berühmte Geschichte: Hier ist der Mensch, das ist der Mensch! Ecce, da! Und wir haben halt Ekzem Homo daraus gemacht, weil wir sagen: es gibt so viele Menschen, die dem Menschen etwas Widerwärtiges sind.“

„Und dann habe ich dieses Haus und neben mir ist ein Schauspieler, sogenannter Künstler, der grillt. Das ist doch der Wahnsinn! Ein Künstler. Die haben doch früher gehungert …“

Gerhard Polt treibt sie auf die Spitze, die kleinbürgerlichen Zwistigkeiten: der Nachbar als Feindbild, Fremdenfeindlichkeit und Flüchtlingsproblematik, Vereinsmeierei und Vermaledeien von aktueller Lokal- und Landespolitik.

Die Inszenierung „Ekzem Homo‘ wird dabei zu einer Art humanistischer Musik-Satire – Ignoranz und Scheuklappen-Denken als modernes Bauerntheater. Das Bühnenbild: ein Reihenhaus als transparentes Lattengestell mit auf Holztafeln gemaltem biederem Vorgarten. Die kritisch-satirische Volksmusik der Well Brüder aus’m Biermoos konterkariert das ewige Theater um den Mangel an echter Menschlichkeit mit zynischen Protestsongs – von der Zither getragene Stubenmusik, vom Akkordeon untermalte Gstanzl, von Tuba und Trompete geblasener Hip Hop.

Und irgendwann im Stück steht dann die Frage im Raum: Was ist der Mensch? Polts trockene Antwort: Musik, Geschrei.
„Der Mensch ist auch ein Klang, ein Klangkörper. Das Wort Person heißt ja nichts anderes als „etwas, durch das es hindurch klingt‘. Per-sonare. Das ist ein Mensch. Also ist er ein Behälter.“

Im Finale von „Ekzem Homo‘ löst sich dann die Frage nach dem Menschsein in einem musikalischen Kitsch auf. Polt in alter Heesters-Manier, in Frack und Zylinder – der Mensch als dilettantischer Entertainer, als selbstironischer Selbstdarsteller.

„Sehr gut. Doch. War ganz toll. Ich bin sehr begeistert.“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Es sind manche Sachen dabei, wo man ein bisschen schluckt. Aber das gehört einfach dazu.“

Campino: Verdammt viel Punkrock

Unter den Gästen im Theaterfoyer tummelt sich dann auch noch ein prominenter Fan von Gerhard Polt und den Well Brüdern aus’m Biermoos – der Punkrocker Campino von den Toten Hosen.

„Also die Art Volksmusik, ist Volksmusik im guten Sinn, im ursprünglichen Sinn, und hat verdammt viel mit Punkrock zu tun.“

„Mir hat es sehr gefallen. Es bleibt eine leichte Melancholie. Man kann viel lachen und das ist die Kunst. Im Grunde wird der Mensch nicht fertig gemacht. Es ist noch ein Stück Resthoffnung da.“

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Auf dem Nachhauseweg durch die Münchner Nacht stellt sich dann doch noch die Frage: Wie ist denn Gerhard Polt mit sich selbst zufrieden, als Darsteller, nein – als Mensch?

„Ich mit mir? Ich kann mich nicht jeden Tag fragen, ob ich mit mir zufrieden bin. Aber ich bin zufrieden, wenn ich einen Durst habe und bekomme dann ein gutes Bier. Dann bin ich mit mir zufrieden, und mit dem Bier. Das ist eine Zufriedenheit.“

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.2.2015 schreibt Teresa Grenzmann:

Kostenfaktor Mensch: Gerhard Polt und die Brüder Well widmen sich an den Münchner Kammerspielen dem „Ekzem Homo“.

„Wenn ein Mensch sich als Mensch erkannt hat, ist er gut beraten, sich nciht als das zu erkennen zu geben.“ Keine Zweifel: Er ist wieder da. Der Polt, der grantelnde. Der Gartenzaunkönig, Rentenrevierabstecker, Sonnen- und Feiertagsmuffel, der Misanthrop, der sich selbst der Nächste ist und die Menschen hassend dennoch liebt, um sich laut und deutlich von ihnen abzusetzen.

Mit hoch erhobener Brezn steht dieser Gehrard Polt in Alltagskluft vorm Vorhang der Münchner Kammerspiele, den Schalk im Nacken, das Premierenpublikum an den Lippen, die ganze, leuchtende Stadt sprichwörtlich im Rücken – ein Theaterheimkehrer und eine -instanz, auch in diesem Haus, schon seit der Revue „Kehraus“ (1979), seit „Tschurangrati“ (1993) und einer Handvoll anderer Stücke, die hier zur unvergessenen Uraufführung fanden. „Wer sind „mia“?“, ruft Polt und pfeffert das kulinarische Symbol bayerischer Gemütlichkeit in den nächsten Mülleimer. „Ja, ich nicht! „Mia“ sind die anderen.“

Diese „anderen“ sind vor allem Anwohner, Anrainer, Mitbürger, Asylsuchende, kurz: Mitmenschen. Oder auch: Nachbarn. Direkte, indirekte, europäische, religiöse. Aber auch: Nachbarskinder, Nachbarsgoldfische, Nachbarsgrillmeister und Nachbarslaubbooster. Wer lebt, stört, und wer im engsten oder weitesten Sinne nebenan lebt, stört empfindlich. „Ekzem Homo“ heißt dieser Uraufführungsabend deshalb, und Pilatus-Polt beleuchtet die Juckflechte Mensch in ihren beharrlich unangenehmsten Seiten.

Um das Exempel gleich hier und jetzt auf der Bühne zu statuieren, hat sich Polt seine Nachbarsmenschen natürlich mitgebracht. Sina Barbra Gentsch hat ihnen ein kleines Siedlungsprovisorium auf die offene Bühne gebaut; ein zartes Reihenhausgerüst, vor dem einige Pappeln aus Pappe und Sperholzheckenspaliere wachsen. Links wohnt Stefan Merki, ein gebürtiger Schweizer, der hier immer sich selst als Schauspieler der Kammerspiele, aber auch sich selbst in wechselnden Rollen spielen darf: etwa Brezner-Polts grillenden, mit einer Drohne ausspionierten Nachbarn oder den polnischen Priester, der zusammen mit einem indischen Geistlichen (Polt in köstlichem Pidgin-Englisch) auf Einladung des erzbischöflichen Ordinariats Freising nach Bayern gekommen ist, um den aussterbenden katholischen Glauben erst gründlich zu reformieren und dann wieder zu verbreiten.

Im mittleren Reihenhaus wohnt Brezner-Polt selbst – zusammen mit eienr zwischen Rechthaberei und Unrecht eingekauften afrikanischen Haushaltshilfe mit einer langen Flüchtlingshistorie (als weitestgehend stumme, auf pure atmosphärische Anwesenheit hin wertgeschätzte Rolle gespielt von Funke Konate). Rechts schließlich wohnen, umgeben von einem Dutzend Instrumenten, drei der vielen musikalischen Well-Brüder aus dem Biermoos, um in etwas veränderter Besetzung als früher – da nannten sie sich noch die Biermösl Blosn -, aber auf gewohnt gewitzte und liebevolle Art mit- und aufzuspielen. Zwischen Hackbrett und Harfe, Drehleier udn Geige, Tuba und Blockflöte rücken einige der Gstanzln von Karli, Michael und Christoph Well – ob Gymnasium-Rap, Feuerwehr-Suite oder Lohnsteuer-Boogie – all die Gartenzaun- und Maximilianstraßengranteleienins rechte lokal- wie außenpolitische Licht. Das heißt, sie verleihen dem eher harmlos unterhaltsamen Abend manchmal, etwa mit ihrem Globalisierungsansatz „Schweinsbraten für die Welt“ oder der bitteren Ironie in „Unsere tapfere Polizei“, auf subtile Weise mehr brisante Spitzen, als Polts laufendes Szenensushi allein zu transportieren vermag.

Der Spielmacher selbst indes poltert zwischen Dialekt, Distanzierung, Desillusion und Demaskierung seienr eigenen Grantler-Rolle, auf Tuchfühlung mit Rassismus, Intoleranz und Borniertheit durchs altbewährte Abenteuerland seiner Bühnencollagen, während die Welt ihm zu- und wegflattert wie ein aufgeregter Wellensittich, der es immer mal wieder mit dem weit gefassten Freiheitsgedanken versucht, obwohl er genau weiß, dass sein Schicksal der beengte Zimmerkäfig ist. Wortneuschöpfungen wie Kaulquappennummerierer, Lohnschauspieler oder Grillschwenderei – allesamt mit Ausrufezeichen gen Bayernhimmel genörgelt – säumen dabei Polts Weg. Der Mensch sei „Heimat für Parasiten, Viren, Bazillen, Versicherungen, Geschäftsleute, Beerdigungsinstitute, Waffenhändler, Religionen und Fußpilze“, vor allem aber ein Kostenfaktor, könnte es da treffender nicht heißen. Und gnadenlos komisch ist es, wenn Polt den Steuerwahnsinn auf die Spitze treibt, indem er ausrechnet, wie man zwölf Prozent Mehrwertsteuer eines Goldfisches einsparen kann, indem man ihn kurzentschlossen nach Müllerin-Art in die Pfanne legt.

Regie, so heißt es, habe Johan Simons, der scheidende Kammerspiele-Intendant selbst, geführt. Das Titelthema allerdings ist in allen Aus- und Abschweifungen vom Klein- und Vorgartenkrieg so weit gefasst und breit zusammengerafft, dass man unter den drei schwebenden Alphörnern im Zuschauerraum nur schwerlich mutmaßen kann, wie genau der Niederländerden fünf Alpenländern den Bergführer gegeben hat. Diese Art von Nachbarschaftshilfe ist, obschon mit keinem Wort erwähnt, mit Sicherheit eine der komischsten Anekdoten des Abends.

Der Flamenco ist eigentlich bayerisch

Vor einem restlos begeisterten Publikum boten die drei Brüder Karl, Michael und Christoph „Stofferl“ Well in der Pittenharter Mehrzweckhalle ihr Musikkabarett. Die Obinger Blaskapelle hatte das Trio eingeladen.

Die Zeit vom Einlass bis zum Auftritt der drei nutzte die Jugendblaskapelle, um unter Leitung von Eva Maria Gruber eine Bandbreite von Märschen, Polkas, Walzer bis zu modernen Arrangements darzubieten.

Es scheint kaum ein Musikinstrument zu geben, das nicht zumindest einer der Well-Brüder beherrscht. So sind Trompete, Tuba, Gitarre, Geige, Querflöte, Harfe, Dudelsack, Okarina, Ziach, Zither, Kontrabass, Alphörner sowie Drehleier, alles in musikalischer Perfektion, im Repertoire des Trios. Instrumentalstücke werden in der Regel zuvor bezüglich der Instrumentierung erklärt.

„Gigaliner der Stubenmusi“

Da gibt es viel Neues zu erfahren: dass die Alphörner, die „Gigaliner der Stubnmusi“, als Vorläufer des Laubbläsers zu gelten haben. Ein besonderes Teil ist das hölzerne „Glachter“, ein xylofonähnliches Instrument. Historisch ist das „Glachter“ eine Weiterentwicklung eines Instrumentes, das aus Knochen von Gerippen stammte.

Die Well‘schen Texte boten ein breites Spektrum: Neben einer humorvollen Annäherung an den Tod oder dem Rap „40 Cent“, der den bayerischen Milchbauern gewidmet ist, wurden auch historische Details aufgearbeitet: Es wurde beschrieben, wie Hannibal beim Marsch mit seinen Elefanten über die Alpen und einer spanischen Begleittruppe den bayerischen Schuhplattler kennen und schätzen lernte. Der Schuhplattler sei von den Bajuwaren ursprünglich anlässlich einer Mückenplage entwickelt worden. Auf der langen Rückreise nach Spanien kamen aber Teile des Schuhplattlers in Vergessenheit. Mangels Mücken in Spanien wurde das Schlagen der Hände auf Oberschenkel und Schuhe weggelassen und mit dem Stampfen der Füße der Flamenco erfunden.

Auch Lokalkolorit kam nicht zu kurz. Mit dem Gstanzl „Wui ma in Obing kulturell wos erlebn, muaß ma noch Pittenhart gehn“ wiesen sie auf das Fehlen einer für Kulturzwecke geeigneten Veranstaltungshalle in Obing hin. Mit „Wia ma de Kinda in Obing de Unendlichkeit erklärt, is dann, wenn de Ortsumgehung fertig wead“ wurde ein anderes Thema angesprochen.

Der Obinger Ruhestandspfarrer kommt sicher sofort in den Himmel, weil er die Hölle als Vorstand des 1860-Fanclubs schon auf Erden hatte.

Ein musikalischer Hochgenuss waren die Trompetenstücke von Stofferl Well, zum Beispiel ein Divertimento von Mozart. Aber auch seine beiden Brüder Michael und Karl standen ihm in nichts nach und wechselten die Instrumente nach Bedarf. Michael spielte virtuos auf einer Riesentuba, die größer war als seine Brüder. Karl war mit stoischer Ruhe und geradlinigen Pointen der perfekte Gegenpol zu dem quirligen Stofferl und eher überlegt wirkenden Michael Well. Ein dankbares Publikum erklatschte sich dann noch mehrere Zugaben.

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Bissig wie eh und je – Die Well Brüder in Augsburg

Die Well Brüder in neuer Formation

Augsburg, 11. April 2014: Altbekannt und doch ganz neu präsentieren sich im Parktheater die „Well-Brüder aus’m Biermoos“, wie sich jetzt, nach der Auflösung der „Biermösl-Blosn“, das Trio Christoph, Michael und Karl aus der gr0ßen Well-Familie nennt.

Frech, urbayerisch und im Zusammenspiel der unterschiedlichsten Instrumente interpretierten die drei das Geschehn in Bayer auf ihre ganz eigene Weise. Ausgangspunkt ist ihr Heimatort Hausen, wo der Kreisverkehr am Ortseingang „so saueng“ ist, dass der Löschzug der Feuerwehr „gradaus drüber bretter“. Und wo zum 125-jährigen Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr mit Fahnenweihe ein „Mozart-Divertimento Bavarese“ aufgeführt wurde. Entdeckt habe dieses Mozartwerk der Kreisheimatpfleger, der Drexler Toni (den gibt’s wirklich!). Er habe herausgefunden, dass die Postkutsche mit Mozart auf ihrem Weg von Salzburg zum Bäsle nach Augsburg „beim Kreisverkehr in Hausen verreckt ist“. Dem Mozart sei dann nichts anderes übrig geblieben, als beim Wirt dieses Werk zu komponieren. herrlich war, wie die Well-Brüder dieses Stück mit den verschiedensten Mozart-Motiven mit Trompete, Tuba und Akkordeon interpretierten, vom „Prosecco con tutto“ bis hin zu einem Landler für den Tanz der Fahnenjungfrauen.

Bissig und hochaktuell die Gstanzl, in denen die Well-Brüder so manchen aufs Korn nahmen: Uli Hoeneß, der in drei Jahren die schweren Jungs von Landsberg reif für die Champions League trainieren wird; oder Söder, dem vom Luzifer eröffnet wird, dass er nicht in die Höll‘ kommt, „weil wir bei uns a Gaudi ham wolln, da hat ein Franke nichts verlorn.“

Eine richtige Freude war es auch, zu erleben, wie souverän jeder der Brüder mit den verschiedenen Instrumenten agierte, von der Riesentuba über Dudelsack, Drehleier und Alphörner, bis hin zu einer Art Xylofon mit Holzklötzen. Dessen Urform – auch das habe der Drexler Toni herausgefunden – bestand aus den Rippen der heiligen Algunda von Hausen. Weil durch den späteren Reliqienhandel die Röne immer weniger wurden, habe man halt künftig bei diesem Instrument auf nachwachsende Rohstoffe wie Holz gesetzt. Es war schon ein rechter Schmarrn, den die Well-Brüder servierten. Ein Schmarrn aber, der größtes Vergnügen bereitet.

Bitter-süßer Spott

Die Well-Brüder nehmen im Ramminger Braustadel Bayerns Großkopferte ebenso aufs Korn wie etwas weniger Bekannte, etwa aus Rammingen und Bad Wörishofen
Christoph, Karl und Michael in Rammingen (Foto: Wilhelm Unfried)

Die „Well-Brüder“ Christoph, Karl und Michael (von links) warteten im Braustadel Rammingen nicht nur mit großem Polit-Kabarett auf, sondern auch mit großen Instrumenten.

Inge und Tscharlie Hemmer waren den Tränen nahe, als sie die Well-Brüder Christoph, Karl und Michael im Ramminger Braustadel ankündigen konnten. Endlich habe es geklappt, so Tscharlie, und mit ihm freuten sich rund 150 Besucher, die gekommen waren, um die Nachfolger der legendären „Biermösl Blosn“ zu erleben. Die G‘stanzl und hintergründigen Gespräche in bestem bajuwarischen Dialekt zu verfolgen, war für das meist schwäbische Publikum nicht immer einfach. Besonders Christoph Well hatte ein rekordverdächtiges Redetempo drauf, um Politiker, aber auch die Durchschnittstypen aufs Korn zu nehmen.

Um die Gruppe zu verstehen, muss man deren Geschichte kennen. Die Biermösl Blosn wurde als bayerische Musik- und Kabarettgruppe 1976 von den Brüdern Hans, Christoph und Michael Well gegründet. Die Gruppe verband Volksmusik mit politischen Texten. 2012 löste sich die Gruppe auf. Bruder Hans schied aus grundsätzlichen Erwägungen aus und zusammen mit Bruder Karl formierten sich die Well-Brüder, um fortan den Politikern weiter das Fürchten zu lernen. Entstanden war die Gruppe in der Zeit der großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, etwa um die Wiederaufbereitungsanlage für Atommüll in Wackersdorf.

Nun habe sich das Feindbild geändert, so auch die CSU, deshalb gebe es nun eine Neuausrichtung, erklärte Christoph Well. Dennoch sieht sich die Gruppe immer noch als ein Stachel im Fleisch der Obrigkeit, weswegen der Ministerpräsident wegen seiner „Wendepolitik“ immer wieder Zielscheibe wurde. Nicht ungeschoren kam auch der FC Bayern davon: „Macht einer den FC Bayern mies, wird er vertrieben aus dem Paradies!“, hieß in einem G‘stanzl.

Doch es wurde auch schlicht und einfach geblödelt. Immer wieder wurde auf einen ominösen Kreisheimatpfleger Toni Drexel verwiesen, der allerlei „wichtige“ Erkenntnisse gewonnen hatte. Stocktrocken berichtete Christoph Well von der angeblichen Verwandtschaft von Flamenco, Jodeln und Schuhplattler. Natürlich hatten die drei auch etwas über die Region ausgegraben. Das Unterallgäu sei so schwarz, dass man auch untertags mit Licht herumfahren müsse. Rammingen sei bekannt für eine Biogasanlage, einen Bahnhalt und einen Bürgermeister, der alles überrage, wenn er im Garten mit Gartenzwergen stehe. Und auch Bad Wörishofen wurde immer wieder zitiert, als die Heimat unter 100-Jähriger.

Bleiben noch die Well-Brüder als Musiker zu erwähnen. Es muss schon eine besondere Familie gewesen sein, 15 Geschwister, davon sieben Mädchen und acht Buben, die der Vater, ein Lehrer, in die Welt setzte. Fast alle haben eine musische Ader, unter anderem treten die Schwestern in einer eigenen Gruppe, der „Wellküren“ auf. Die kommen übrigens im Oktober in den Braustadel, der Kartenvorverkauf hat schon begonnen.

Die drei Künstler zauberten Musik vom Feinsten unter anderem mit Harfe, Trompete, Tuba, Gitarre, Violine, Bassgeige, Xylofon, Leierkasten, Eigenerfindungen und am Ende sogar mit dem Alphorn herbei. Letztere ragten gut drei Meter auf die Tische der Gäste. Und wer weiß, wie schwer diese Instrumente zu beherrschen sind, der wird sich über das Repertoire wundern: „Yellow Submarine“, „Bi-Ba-Butzemann“ und sogar „Freude schöner Götterfunken“ wurde da unter Szenenapplaus gespielt.

Am Ende verriet Tscharlie Hemmer noch einen weiteren Traum: Die Well-Brüder zusammen mit Gerhard Polt in Rammingen auf die Bühne zu bringen. Diese versprachen, das Unmögliche möglich zu machen.

 

Von Wilhelm Unfried

Drei Wellbrüder geben in Gremsdorf Gas

Die Wellbrüder (Christoph, Michael und Karl) aus dem Biermoos setzen den bissig-derben bajuwarischen Stil fort. Hinzugekommen sind mehr Musikbeiträge für den Multi-Instrumenten-Virtuosen Christoph.

Temporeich lässt Christoph Well die Läufe und Verzierungen eines Divertimento Bavarese erklingen. Komponiert hat das Stück für virtuose Bachtrompete angeblich Wolfgang Amadeus Mozart, als er wegen eines Postkutschenschadens in Hausen, dem fiktiven Wohnort der Wellbrüder, Aufenthalt machen musste. Aufgefunden hat das verschollene Werk der Kreisheimatpfleger Drexler Toni, der sich einen echten Doktortitel über die Herkunft des Flamenco vom Schuhplattler erworben hat.
Diese Passage aus dem Programm der „Wellbrüder aus dem Biermoos“, Christoph, Michael und Karl, zeigt deren Anknüpfen an die Programmtradition der Biermösl Blosn und zugleich den neuen Akzent. Die Instrumentalmusik hat einen höheren Stellenwert bekommen, seit Karli „in einem innerfamiliären Casting ausgewählt“ wurde. Karl, der zwölfte in der Geschwisterreihenfolge, hat, wie seine Biermöslbrüder (Geschwisterfolge 13 und 14), lange musikalische Erfahrung bei „Gugelhupfa“ und – die Ruhe weg.

Erst mal ein Schluck Bier

Er nimmt erst mal einen kräftigen Schluck aus der (fränkischen) Bierflasche, ehe er zur Gitarre greift. In bewährter Manier dreht sich der erste Beitrag um die lokalen Geschehnisse. Landratskandidaten, Landtagsabgeordneter Walter Nussel und Erlangens OB-Kandidat Siegfried Balleis samt Radweg nach Röttenbach bekommen ihr gereimtes Fett ab. Die Schwarzen insbesondere: „Höchstadt und Umgebung ist so schwarz, dass sie sogar bei Tag mit Licht fahren.“ Auch Harmloses erzielt beim Publikum im Forum der Barmherzigen Brüder Lacherfolge, ist doch der Veranstalter der von Landrat Eberhard Irlinger (SPD) initiierte und geleitete Kulturverein.
Mozart – gewissermaßen als Zwischenspiel -, dann kommt das aktuelle Zeitgeschehen dran, knapp und bissig, wie gehabt. Uli Hoeneß wird zitiert mit: „In drei Jahren spielen die schweren Jungs von Landsberg in der Champions League.“ Nach einem Musikexkurs ins Spanische wird es wieder gesellschaftskritisch. In G’stanzeln werden mieses, gewalttätiges Polizeiverhalten und eigenartige Richtersprüche rekapituliert. Mit einem Bach-Stück („für die evangelischen Franken“) nehmen die Brüder die Härte wieder heraus.
Eine Vorgehensweise, die das ganze Programm durchzieht: Virtuose Musikbeiträge auf einer Vielzahl von Instrumenten als Ruhepole zwischen inhaltlich ätzenden, aber wohltuend boarisch gereimten Liedtexten und einigen Boshaftigkeiten in den Zwischentexten. „Nach 40 Jahren muss man gewohnte Feindbilder überdenken“, sagt Christoph an, der auch die Wortbereich die Führungsrolle übernommen hat. Was kommt raus? Eine Darmspiegelung des Ministerpräsidenten, der „Söder, mai fränkischer Abzess“ entdecken muss. Ein Liedtext, so grob und derb, dass es eine Freud‘ ist.
Wie auch die kommentarlose Aneinanderreihung der wichtigsten bayerischen Geschichtsdaten der letzten 50 Jahre. Gut, hier muss der Zuhörer seine (bösen) Assoziationen selber finden.
Warsteiner – der Running Gag der Vorgängergruppe – ist auch dabei. Diesmal in der Bierfalle für Schnecken. Und die bitterbösen „Ausrutscher“ aus dem bewährten Klischees über Oberbayern. Wer schafft es schon, in der Singweise von „Drunt‘ in der greana Au“ von romantischen Edelweißsuchern zum todbringenden Kreislauf der Pharmaindustrie zu gelangen? Oder zu den Bauernregeln der Subventionsanträge?

Politik in den Zugaben

„Forty Cent“ schreit der Rapper ins Mikro. Ach nein, auch das ist Christoph, der sich die Lage der Millibauern auf seine Weise zurechtlegt. Der bewährte Gag mit den Alphörner auf den Publikumsschultern wird zu einer absolut virtuosen Vorstellung samt Thema von Beethovens Neunter.

von Pauline Lindner.

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