HomeTermineBioMediaKontakt

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.2.2015 schreibt Teresa Grenzmann:

Kostenfaktor Mensch: Gerhard Polt und die Brüder Well widmen sich an den Münchner Kammerspielen dem „Ekzem Homo“.

„Wenn ein Mensch sich als Mensch erkannt hat, ist er gut beraten, sich nciht als das zu erkennen zu geben.“ Keine Zweifel: Er ist wieder da. Der Polt, der grantelnde. Der Gartenzaunkönig, Rentenrevierabstecker, Sonnen- und Feiertagsmuffel, der Misanthrop, der sich selbst der Nächste ist und die Menschen hassend dennoch liebt, um sich laut und deutlich von ihnen abzusetzen.

Mit hoch erhobener Brezn steht dieser Gehrard Polt in Alltagskluft vorm Vorhang der Münchner Kammerspiele, den Schalk im Nacken, das Premierenpublikum an den Lippen, die ganze, leuchtende Stadt sprichwörtlich im Rücken – ein Theaterheimkehrer und eine -instanz, auch in diesem Haus, schon seit der Revue „Kehraus“ (1979), seit „Tschurangrati“ (1993) und einer Handvoll anderer Stücke, die hier zur unvergessenen Uraufführung fanden. „Wer sind „mia“?“, ruft Polt und pfeffert das kulinarische Symbol bayerischer Gemütlichkeit in den nächsten Mülleimer. „Ja, ich nicht! „Mia“ sind die anderen.“

Diese „anderen“ sind vor allem Anwohner, Anrainer, Mitbürger, Asylsuchende, kurz: Mitmenschen. Oder auch: Nachbarn. Direkte, indirekte, europäische, religiöse. Aber auch: Nachbarskinder, Nachbarsgoldfische, Nachbarsgrillmeister und Nachbarslaubbooster. Wer lebt, stört, und wer im engsten oder weitesten Sinne nebenan lebt, stört empfindlich. „Ekzem Homo“ heißt dieser Uraufführungsabend deshalb, und Pilatus-Polt beleuchtet die Juckflechte Mensch in ihren beharrlich unangenehmsten Seiten.

Um das Exempel gleich hier und jetzt auf der Bühne zu statuieren, hat sich Polt seine Nachbarsmenschen natürlich mitgebracht. Sina Barbra Gentsch hat ihnen ein kleines Siedlungsprovisorium auf die offene Bühne gebaut; ein zartes Reihenhausgerüst, vor dem einige Pappeln aus Pappe und Sperholzheckenspaliere wachsen. Links wohnt Stefan Merki, ein gebürtiger Schweizer, der hier immer sich selst als Schauspieler der Kammerspiele, aber auch sich selbst in wechselnden Rollen spielen darf: etwa Brezner-Polts grillenden, mit einer Drohne ausspionierten Nachbarn oder den polnischen Priester, der zusammen mit einem indischen Geistlichen (Polt in köstlichem Pidgin-Englisch) auf Einladung des erzbischöflichen Ordinariats Freising nach Bayern gekommen ist, um den aussterbenden katholischen Glauben erst gründlich zu reformieren und dann wieder zu verbreiten.

Im mittleren Reihenhaus wohnt Brezner-Polt selbst – zusammen mit eienr zwischen Rechthaberei und Unrecht eingekauften afrikanischen Haushaltshilfe mit einer langen Flüchtlingshistorie (als weitestgehend stumme, auf pure atmosphärische Anwesenheit hin wertgeschätzte Rolle gespielt von Funke Konate). Rechts schließlich wohnen, umgeben von einem Dutzend Instrumenten, drei der vielen musikalischen Well-Brüder aus dem Biermoos, um in etwas veränderter Besetzung als früher – da nannten sie sich noch die Biermösl Blosn -, aber auf gewohnt gewitzte und liebevolle Art mit- und aufzuspielen. Zwischen Hackbrett und Harfe, Drehleier udn Geige, Tuba und Blockflöte rücken einige der Gstanzln von Karli, Michael und Christoph Well – ob Gymnasium-Rap, Feuerwehr-Suite oder Lohnsteuer-Boogie – all die Gartenzaun- und Maximilianstraßengranteleienins rechte lokal- wie außenpolitische Licht. Das heißt, sie verleihen dem eher harmlos unterhaltsamen Abend manchmal, etwa mit ihrem Globalisierungsansatz „Schweinsbraten für die Welt“ oder der bitteren Ironie in „Unsere tapfere Polizei“, auf subtile Weise mehr brisante Spitzen, als Polts laufendes Szenensushi allein zu transportieren vermag.

Der Spielmacher selbst indes poltert zwischen Dialekt, Distanzierung, Desillusion und Demaskierung seienr eigenen Grantler-Rolle, auf Tuchfühlung mit Rassismus, Intoleranz und Borniertheit durchs altbewährte Abenteuerland seiner Bühnencollagen, während die Welt ihm zu- und wegflattert wie ein aufgeregter Wellensittich, der es immer mal wieder mit dem weit gefassten Freiheitsgedanken versucht, obwohl er genau weiß, dass sein Schicksal der beengte Zimmerkäfig ist. Wortneuschöpfungen wie Kaulquappennummerierer, Lohnschauspieler oder Grillschwenderei – allesamt mit Ausrufezeichen gen Bayernhimmel genörgelt – säumen dabei Polts Weg. Der Mensch sei „Heimat für Parasiten, Viren, Bazillen, Versicherungen, Geschäftsleute, Beerdigungsinstitute, Waffenhändler, Religionen und Fußpilze“, vor allem aber ein Kostenfaktor, könnte es da treffender nicht heißen. Und gnadenlos komisch ist es, wenn Polt den Steuerwahnsinn auf die Spitze treibt, indem er ausrechnet, wie man zwölf Prozent Mehrwertsteuer eines Goldfisches einsparen kann, indem man ihn kurzentschlossen nach Müllerin-Art in die Pfanne legt.

Regie, so heißt es, habe Johan Simons, der scheidende Kammerspiele-Intendant selbst, geführt. Das Titelthema allerdings ist in allen Aus- und Abschweifungen vom Klein- und Vorgartenkrieg so weit gefasst und breit zusammengerafft, dass man unter den drei schwebenden Alphörnern im Zuschauerraum nur schwerlich mutmaßen kann, wie genau der Niederländerden fünf Alpenländern den Bergführer gegeben hat. Diese Art von Nachbarschaftshilfe ist, obschon mit keinem Wort erwähnt, mit Sicherheit eine der komischsten Anekdoten des Abends.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner