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Jesuskind am bajuwarischen Wasserradl

Gerhard Polt und die Well-Brüder aus’m Biermoos: ein großartiges Gastspiel am Berliner Ensemble

Berlin, 27.02.2014: Der Mann muss in die Natur, also: in den Biergarten. Wo der schöne »Mai-Bock« lockt – der hat acht Prozent, »die gibt’s auf keiner Sparkasse«. Auch gilt es zu schwelgen vom Fest »125 Jahre Feuerwehr« in Hausen, »das kommt«, so hat der Ortsvorstand herausgearbeitet, »nur alle 125 Jahre vor!« Für jeden Edelweiß-Schnaps, der im Festzelt getrunken wurde, kamen 10 Cent in die Drogen-Präventivkasse für die Jugend des Dorfes – weit über 1000 Euro kamen zusammen! Nur diese »elende Sau« vom Lokalfernsehen hat berichtet, es habe Vergiftungen durch Rollbraten gegeben, »ja, mein Gott, das waren Rückläufer aus Afghanistan, Fleisch für die Taliban, aber die fressen das Zeug nicht.«

Gerhard Polt – Fortsetzung von Ödön von Horváth mit bajuwarischen Mitteln

Gerhard Polt – Fortsetzung von Ödön von Horváth mit bajuwarischen Mitteln;
Foto: dpa/Tobias Hase

Gerhard Polt. Sitzt, wenn er nicht redet, wie nebenbei auf der Bühne des Berliner Ensembles, gleichsam eine Randgestalt neben dem Instrumenten-Aufgebot aus Harfe, Klarinette, steirischem Akkordeon, Gitarre, Cello, Trompete, Kontrabass, Alphorn, Tuba, Drehleier. Deutschlands großer Kabarettist beim »Bayrischen Abend« in Berlin – mit den drei »Well-Brüdern aus’m Biermoos«, hervorgegangen aus der famosen Formation »Biermösl Blosn aus’m Biermoos«. Die Musikanten biegen Folklore ins grandios Sarkastische, sie zerfideln die Gemütlichkeit gekonnt in böse Bissen Muikclownerie, sie steigern sich in Gangsta Rapp (hier ein Ausschnitt des 40 Cent Raps im Berliner Ensemble), jodeln und schuhplattlern durch die aktuelle Politik.

Und Polt sitzt. Bedient mal eine Kuhglocke und »muht« auch mal. Wenn er aber aufsteht zu einem seiner Monologe, wird die Bühne klein, denn die Kraft wird groß, und es ist eine mulmige Kraft. Erinnernd an den lieben Fleischer in Ödön von Horváths »Geschichten aus dem Wiener Wald«, welcher der unglücklichen Marianne in sanfter Weise androht, sie entkomme seiner Liebe nicht. Ja, bei diesem Todesurteil darf man sich das weiche, fressenbreite Schweinebratengrinsen einer Gerhard-Polt-Figur vorstellen. Schon hat man jene süddeutsche Herzigkeit im Blick, die eine besonders mörderische Variante des Deutschen darstellt. Polt ist die Fortsetzung Horváths mit bajuwarischen Mitteln. Sprache stellt sich in den Dienst jenes Terrors zwischen den Menschen, der von ihren psycho-sozialen Hinfälligkeiten ablenken soll. Aber plötzlich liegen die da wie eine nackte, enthäutete Weißwurscht.

Polt beobachtet die unregelmäßig arbeitenden Hirne der bayerischen Menschen; wie sie im Gespräch einander verfehlen, wie ihr Kämpfen ab einem bestimmten Punkt sinnlos, aber doch heftiger wird; wie ein Schlagabtausch unter Verwundeten entsteht, die ihren Schmerz blind, also aggressiv weiterzugeben versuchen. Polt ist der große, wissende, böse mitspielende wie böse mitfühlende Spießergeselle auf deutscher Volkstheater-Bühne. Seine apokalyptischen Reiter sehen aus wie Menschen, trinken ihr Bier und bestellen »a Brotzeit, da schau her«. Immer die Kinderschänder sind es, die die schönsten Spielzeuge verteilen.

Kleinbürgerlich am Rande des Bäuerlichen, gemischt mit Akademikertum, imprägniert von Katholizismus, das ist Polts Galerie. Mit Ratzinger-Stimme fistelt er sich durch den klerikalen Sumpf, da weiß man sofort wieder um die trübe Neubedeutung einer »Kirche von unten«. Als Frau von der Dorfstraße denkt er über das leidige Problem der Minderheiten nach, »ja, was wollen die denn eigentlich, sind die sich denn nicht wenig genug, diese Elemente?« O Lob der Demokratie: »Hier hat jeder das Recht, sich anständig zu benehmen, gell!« Einer träumt vom CSU-Museum auf Weltniveau, und es tritt ein Hobby-Schnitzer auf, der Weihnachtskrippen bastelt »mit Wasserradl«. Der Kabarettist ist ein Mobil-Funker zwischen den Sozialwelten. Ein Abkömmling der Volkssänger, der Brettl-Komödianten, der Weißbier-Philosophen. Seine Monologe scheinen mitten ins Denken hineinzuführen und führen doch geradewegs aus ihm hinaus. Alles ist angelegt in der Behäbigkeit des breiten Mundes und jener langsamen Zeremonie, die aus Buchstaben Wörter macht; durchsetzt zudem von hehehe, äh…äh…äh, naa, jajaja …

Den hellsten Wahnsinn Lebensstoff präsentiert Polt unverschämt kindsköpfig; seine Finsterlinge gespenstern mitunter aufreizend verschämt. Er trägt nichts vor, er trägt uns etwas an. Schon mit jedem ersten Satz jeder Tirade sind wir in einer Geschichte, die sich betont mählich, durch schwer anrollende Halb- und Viertelsätze hindurch, zu einer Ordnung fügt. Hier zieht uns ständig jemand ins bittende Vertrauen, atemnah gleichsam, von seinem aufgewühlten Innenleben überrumpelt, von einem Gleichgewichtswanken der Welt bedroht.

So gütig wie böse; ja, Güte und Bosheit – ein bayrischer Knödel. Wie der Mensch überhaupt etwas Klumpiges ist, so erhaben wie lächerlich, so harmlos wie schlimm. Polt ist Gestrüpp-Kabarettist, er kommt aus dem Unterholz, aus dem Latschenkiefern-Geflecht, von dort, wo Schwüle aufsteigt, wo man das Kriechen beherrschen muss, wo die niederen Instinkte Hochkonjunktur haben. Wo der weiche Teppich liegt, unter den sich das Leben selber kehrt. Wo das Dasein höchstlebendig verfault. Polt kommt aus der Herbstzeit, da es wirbelnd herunterfällt, das Blatt vorm Mund. Oktoberfest als Dauerzustand. Jeder Satz ein Bodensatz.

Es wäre beruhigend, kämen die Gestalten als Monster daher. Aber sie bleiben Menschen, bei denen alles, was sie so schwer in Worte fassen können, nach Gesetz und Gemütlichkeit schmeckt; irgendwo dazwischen hat Hitler Platz. Mit schmucker Nieder-Tracht auf ins Wirtshaus! Es sind Denunzianten jener freundlichen Art, die uns just beim Anschwärzen was Gutes weismachen wollen. Die Satz-Enden scheinen oft Gedankenstriche zu haben; die Gedanken gehen auf den Strich, auf dem dann dumpf alles heimgezahlt wird.

Nicht, dass diese Leutchen keine Vernunft hätten; just die Vernunft ist es, auf die sie sich berufen können – wenn man darunter jenes geltende Vorurteil verstehen darf, das sich mehrheitlich durchgesetzt hat. Und freilich sind sie allesamt Demokraten. Nur ist die Demokratie leider zu frisch, als dass sie viel aushielte – traditionelle Verwüstungen im Herzen haben ältere Rechte. Und so schwadroniert man darüber, dass zu einem strahlend weißblauen bayrischen Himmel, rein ästhetisch, ein Neger einfach nicht passt. Am Ende zerstiebt der ganze Rassismus auf bezauberndste Art: Musiker und der singende Polt wiegen sich tanzend im mitreißenden Takt einer afrikanischen Weise …

Das Hinterlistige Polts besteht darin, dass er verführt – und uns Zuschauer doch gleichermaßen zum Souverän über diese miesen, fiesen Sehnsüchtlinge der straffen Hierarchie erhebt. Wir fallen ihnen mit entschiedenem Lachen ins Wort, aber was uns begegnet, ist jene Banalität des bösen Alltagsempfindens, der man in der Kneipe, in der Supermarkt-Schlange, im Bus oder sonst wo gern aus dem Wege geht. Weil diese Banalität so bieder, so beiläufig, so nachbarlich, so sorgend daherkommt. Weil man – o Schreck – sich selber begegnen könnte? Brausender Beifall!

Von Hans-Dieter Schütt.

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